Hier entsteht demnächst die Website der Schriftstellerin Henriette Grigo

 

Die Sandalen

 

 

Jedes halbwegs gebildete und handgemachte Paar Schuhe kannte selbstverständlich die Story vom armen Mädchen, dass durch seinen verlorenen gläsernen Schuh den Prinzen fürs Leben fand.

Nach dem Ball war das schöne Kind entschwunden, verlor seinen wunderbar grazilen, mit Edelsteinen besetzten gläsernen Schuh. Im ganzen Reich wurde die Braut vom Königssohn gesucht und trotz mieser Tricks der weniger schönen und dummen Schwestern gefunden.

Und sie lebten glücklich und zufrieden. Und wenn sie nicht gestorben sind......

Im Kleiderschrank war es dunkel. Ständig waren die Türen geschlossen - sicher, das war nötig wegen der Motten. Aber dennoch. Auf dem Boden in der hinteren Ecke stand ein Paar Sandalen. Sie waren wunderschön. Ein bisschen älter vielleicht aber von ihrem einstigen Glanz hatten sie nichts verloren.

Die Absätze waren schlank und leicht geschwungen, mit silbernem Leder bezogen. Ein silbernes Riemchen schlang sich um die schmalen, zarten Fesseln der Trägerin, ein weiteres überspannte die Zehen. Die Sohle war auch mit Leder bezogen.

Es war ein besonders schöne Handarbeit aus Italien - deshalb auch der leichte Akzent.

Früher, als die edlen Sandalen noch mit den anderen Schuhe im Schrank im Flur standen, gab es rege Unterhaltungen. Was hast Du unternommen. Wo musstest Du heute hin. Oh, du Ärmster, du bist ganz nass geworden vor einigen Tagen und hast Ränder. Wie schrecklich.

Für alle stand fest - ungepflegt sein war das Schlimmste, was man einem von ihnen antun konnte.

Im allgemeinen waren sie alle von edler Herkunft. Einige Male gesellten sich auch gröbere Gesellen aus der Fabrik zu Ihnen - aber die blieben nicht lange. Nach kurzer Zeit waren sie wieder verschwunden; gingen aus dem Leim, verloren Absätze, bekamen Löcher in den Sohlen - wurde weggeworfen.

Manchmal kamen auch ganz witzige Mitbewohner zu ihnen. Die waren dann sehr eingebildet, weil sie soooo modern waren. Aber auch bei denen ging der Lack meist schnell ab. Auch sie verschwanden rasch wieder.

Die seriösen, eleganten, zeitlosen, geschmackvollen, edlen Modelle blieben unter sich.

Eines Tages kamen die Sandalen in die erlauchte Gesellschaft. Sie waren ungestüm und auch jugendlich überheblich und forsch. Sie waren ebenfalls echte Handarbeit und herrlich erfrischend. Im Schrank herrschte die einhellige Meinung, diese feinen Sandalen seien liebenswert. Die älteren gaben Ratschläge und hörten aufmerksam zu.

Natürlich kamen die Sandalen ganz schön herum. Es war Sommer und herrliches Wetter. Keine Gefahr, durch Regenwasser aufzuweichen oder zu verschmutzen. Zumal die Trägerin sehr sorgfältig und liebevoll mit ihnen umging. Trotz der Eleganz waren sie bequem und - was ganz wichtig war - sehr schön. Sollte doch einmal eine gefährliche Situation die Wege kreuzen, wurden die Schuhe auf Händen getragen. Das war ein Schuhleben - wundervoll!

Die Sandalen trafen manche Artgenossen. Eingebildete moderne Fabrikmodell, deren Herkunft man sofort sah; seriöse aber langweilige Tagestreter; ungepflegte Modellschuhe, die unter der schlechten Behandlung ihres Trägers ächzten und manchmal schon geschunden und abgetragen waren oder schiefe Absätze erleiden mussten.

Und dann die Lackschuhe - ganz verträumt wurden die Sandalen, wenn sie von den handgearbeiteten Lackschuhen schwärmten.

Die Lackschuhe traf man meist auf weichen wunderbaren Teppichen, die den Sohlen schmeichelten.

Die Sandalen konnten sich in den Lackschuhen spiegeln und begutachten. Wie schön sie waren.

Natürlich bemerkten sie die bewundernde Aufmerksamkeit. Kokett drehten sie sich oder tänzelten elegant.

Oft kam es zu gemeinsamen Tänzen - berauschend. Die Sandalen wurden mit Komplimenten überhäuft.

Es war ein wunderbarer Sommer! Voller Glück und Freude und Sonnenschein.

Zum Ende der Sommers trafen sie sich immer häufiger mit einem Paar der edelsten Lackschuhe, die ihnen jemals begegnet waren. Adelige Herkunft, Bildung in England genossen, weit gereist, bestens gepflegt.

Dann kam es vor, das sie gemeinsam auf einem edlen Teppich standen und die ganze Nacht miteinander verbrachten.

Die Sandalen waren so sehr verliebt. Die Lackschuhe machten einen Antrag und hofften auf eine gemeinsame Zukunft.

Es war ein Glückssommer. Die Sandalen und die Lackschuhe kamen in einen riesigen gemeinsamen Schrank und verbrachten eine wunderschöne Zeit miteinander.

Nach vielen Jahren wurden die Sandalen plötzlich von der Seite der Lackschuhe gerissen und hinten im Kleiderschrank auf den Boden gestellt.

Liebevoll und verträumt hatte die inzwischen auch älter gewordene Trägerin über die Riemchen gestreichelt und gelächelt. Behutsam hatte sie die Sandalen abgestellt.

Auch die Sandalen waren in die Jahre gekommen und erfüllten nicht mehr die Bedingungen. Auch sie waren müder und das Silber war ein wenig grau geworden.

Sie erinnerten sich an die geliebten Lackschuhe. Risse waren eines Tages sichtbar geworden. Der Glanz hatte nachgelassen. Auch die Sohlen waren schwächer geworden. Was wohl aus ihnen geworden ist?

Die Sandalen hatten viel Muße und träumten von den vergangenen Zeiten. Manchmal weinten sie ganz leise und unsichtbar.

Aber sie waren dem Schicksal dankbar für die lange, glückliche Zeit. Für die vielen gemeinsamen Jahre mit den Lackschuhen in dem großen Schrank. Immer waren sie gemeinsam ausgegangen - hatten viel miteinander erlebt. Sogar Reisen durften sie machen.

Immer, wenn die Sandalen sich erinnerten, hatte man den Eindruck, dass das Silber doch wieder glänzte.......

 

Henriette Grigo

 

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